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Tag und Nacht

Der Tag wird durch die Nacht begrenzt. Wenn ein Kind einen zukünftigen Zeitraum überblicken soll, wird er in Nächte gegliedert: Wie oft muss ich noch schlafen? “Einmal werden wir noch wach, heißa, dann ist Weihnachtstag!”

Deutlicher noch wird dies in den englischen Wendungen “a fortnight” , fourteen nights, “vierzehn Tage”, zwei Wochen und dem aussterbenden “sennight”, seven nights, “acht Tage“, eine Woche. Auch im Deutschen finden sich Hinweise, wie die Nacht zur Zäsur des Tages wird: Weihnachten, die “geweihte”, die Heilige Nacht, Fastnacht, die Nacht, die der Fastenzeit, der Passionszeit, vorausgeht.

Das Wort “heute”, das als Lehnwort auf dem lateinischen hodie zu basieren scheint, hat deutliche indogermanische Wurzeln: hiutu,*hiu tagu, worin heutigen Tages durchscheint. “Heute”, das mundartlich auch “heint” [1] heißt und zu dem ebenfalls mundartlichen “hinâht“, heute nacht, führt, lässt dies ahnen.

Zeiteinteilung in Tage oder Nächte?

Tacitus und Cäsar berichten über die Gewohnheit der germanischen und keltischen Völker, in Nächten, statt in Tagen ihre Zeit einzuteilen.

Auch in entsprechenden paarig vorkommenden Wendungen drückt sich der Vorrang der Nacht aus: lateinisch nocte et diu oder naht unde tac, in der deutschen Literatur noch bis zum Ausgang des Mittelalters üblich.

Das Wort Tag legt eine vorläufige genealogische Verbindung zu lateinisch tactus, Takt, nahe, da Tage gleichsam den Takt der Zeit angeben. Das aber ist ein Fehlschluss. Die Ableitung führt dennoch über das Lateinische und – wie bei allen grundlegenden Wörtern des täglichen Lebens – bis ins Indogermanische.

Tag geht auf das gemeingermanische Wort dhegh zurück, das mit brennen zu tun hat. Gemeint ist demnach die Zeit, in der die Sonne brennt.

Es handelt sich hier um eines der ältesten Wörter überhaupt, kompliziert zurückzuverfolgen. Betrachtet man lateinisch dies, Tag, als verwandt mit deus, Gott, sanskrit diva, gelangt man von “Tag” zu “Gott” und “Himmel”. Diese These wird verstärkt durch andere Hinweise im Lateinischen: sub dio – im Freien, divum – der freie Himmel, divinus – göttlich, sowie im Altindischen: diva – Himmel, Tag, deva - Gott.

Die Annahme, dass der lichte Himmel, der Taghimmel, oder auch die Sonne selbst, angebetet wurden, lässt auch die Verwandtschaft zu lateinisch deus, Gott, und dea, Göttin, einleuchten.

Die Zeit der Hirten ist die Nacht, die der Bauern ist der Tag. Geht man davon aus, dass für Hirten als Beschützer und Bewacher ihrer Herden die Nacht eine größere Bedeutung hatte als der Tag, der eher bäuerlicher Arbeit während des Tageslichtes vorbehalten war, dann wäre darin ein Indiz zu erkennen, dass es sich bei unseren sprachlichen Vorfahren, den Indogermanen, eher um Hirten als Bauern gehandelt haben muss.

[1] “Gott lob, der uns heint diese Nacht behüt’ hat vor des Teufels Macht.” aus: “Die helle Sonn leucht’ jetzt herfür” EK 437

Gunhild Simon
Apr 01 2010

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