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Trage und Bahre

Je länger man darüber nachdenkt, desto widersinniger erscheint eine Vertauschung von Trage und Bahre untereinander. Ist von einem Krankentransport die Rede, wird aus der Krankentrage leicht eine Krankenbahre.

Die Bahre ist – kenntlich an der Wendung “von der Wiege bis zur Bahre” – bereits eindeutig mit dem Tode verknüpft. Auf der Bahre wird der Tote “mit den Füßen zuerst” hinausgetragen.

Besonders das von Bahre abgeleitete Verb aufbahren ist den Toten zugeeignet. Aufgebahrt wird der Tote, wenn man ihn, im Totenhemd hergerichtet zum letzten Empfang, ausgestreckt, mit verschlossenen Augen und Mund und mit gefalteten Händen, letztmalig und abschiednehmend betrachtet. Ein schwerer Gang für den Angehörigen oder Freund, aber ein wichtiger, um den Tod zu registrieren, zu realisieren, zu akzeptieren.

Die Trage ist hingegen ein Begriff, der vielfältig einsetzbar ist. Es bezeichnet ein Gerät, ein Werkzeug zum Tragen. So gesehen ist alles, was das Tragen ermöglicht, erleichtert, technisiert, eine Trage – sei es das Joch mit den beiden Eimern, sei es ein mit Griffstangen versehenes hölzernes Brett, ein Trog, eine sackleinerne Mulde – bis hin zur Sänfte.

Hier findet sich schließlich die Verbindung beider. Adelung [1] nennt das Wort Trage “das edlere”. Das hat sich im heutigen Sprachgebrauch verändert, weil Bahre pietätsvolle Regungen erzeugt. Dennoch ist das ältere Wort Bahre nicht nur in der Totenbahre präsent, sondern auch in alltäglchen Gerätschaften wie Mistbahre, Handbahre, in dem der niedersächsischen Mundart eigenen Barre, die sich auf das Turngerät Barren übertragen hat. Sogar in dem pleonastisch anmutenden thüringischen Wort Radebahre, einer Schubkarre, und im schwäbischen Fischbär, das einen zum Tragen bestimmten Körper aus Fischernetz hat, verbirgt es sich. Hier wird schon die etymologische Übereinstimmung deutlich. In Bahre erkennt man einen übereinstimmenden Wortstamm -bar- wieder, der die Bedeutung von “tragen” enthält. Er zeigt sich auch in dem adjektivischen Suffix -bar. Ferner trifft man darauf ingebären, Geburt, ihnen wohnt ein figürlicher Inhalt von “tragen” inne, wie an dem Fachwort trächtig oder an der Wendung “ein Kind unter dem Herzen tragen” sichtbar wird. Auch in sich gebaren, Gebaren, Gebärde, ungebärdig (in unkontrollierten Gebärden), zeigt sich dieser Wortstamm. Hier ist ein übertragenes Verständnis im Sinne von “zur Schau tragen” zugrunde gelegt.

Der Wortstamm -bar- taucht in vielen fremdsprachigen Wörtern auf: in dem englischen to bear/ to wear, dem schwedischen baera, dem dänischen böre, dem altenglischen baeran. Selbst bis ins Gotische bairan lässt sich das Wort verfolgen, weiter noch, bis nach Ägypten, wo die Toten auf einer Barke den Nil flussaufwärts segelten: Der Kahn für den Totentransport, nannte sich barin.

Die Verbindung dieser Silbe, die immer etwas mit “Last” und “tragen” zu tun hat, reicht bis zum lateinischen ferre – tragen, dessen Partizip II latum, getragen, mit dem gleichnamigen Adjektiv weit, ausgestreckt, übereinstimmt, ein Merkmal, das eben die Funktion der Bahre beschreibt. Schließlich erkennt man auch die in dem Zusammenhang immer wiederkehrende Silbe in Pferd, als dem klassischen Lasttier, und schwer, als dem Inbegriff von Last. Dass die Schreibart “Bahre”, mit einem Dehnungs-h, sich durchgesetzt hat, ist ein Zufall, denn die historischen Schreibweisen wechseln zwischen Barre, Baare und Bahre.

[1] Adelung – Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart: Die Bahre

Gunhild Simon
Mai 15 2010

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