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Trotz alledem!

Pfingsten in St. Nikolai am Klosterstern. Der Pfingstgottesdienst geht um “Jesu, meine Freude”. Das ist eines der bekanntesten Kirchenlieder - EG 396, geschrieben von Johann Franck und vertont von Johann Crüger im Jahre 1653, nach den bitteren Jahren des 30-jährigen Krieges (1618-48). Berühmt wurde es als Bach-Motette, BWV 227. Die Kantorei begleitete damit den Gottesdienst. [1]

Das Lied “Jesu meine Freude”[2] nimmt sie in den Bann, die bösen Mächte dieser Welt. Es schmettert ihre Namen heraus, zerrt sie hervor ans Licht und begehrt tapfer gegen sie auf. Der Krieg, der in der Mitte Europas gewütet hat, unter dem Vorwand des rechten Glaubens die erste Welt in Schutt und Asche gelegt und entvölkert hat, die Seelen verroht, die Leiber geschunden, das Land verwüstet und die Menschen verarmt hat, war wohl dazu angetan, das Menschen- und das Gottvertrauen zunichte zu machen. Die zeitgenössische Lyrik beschreibt deshalb die Vergänglichkeit, die Nichtigkeit, den leeren Schein - Vanitatum vanitas - von Leben und Schönheit. Das spricht voll Melancholie aus den Gedichten von Knorr von Rosenroth, Christian Hofmann von Hoffmannswaldau, Andreas Gryphius [3] und Paul Fleming. [4] Aber manchem hat gerade dies zu einer Haltung verholfen, all dem zu trotzen.

So spricht also das Lied “Jesu, meine Freude” vom Trotz. Trotz, das ist nicht Gehorsam und Demut, nicht Annahme und Ergebenheit. Das ist Aufbegehren, Widerstand, Aufstand gar. Trotz, das ist Trutz und Stärke, wie es die Protestanten seit Luthers Trutzgesang “Ein feste Burg” auf ihre Fahnen schreiben. Aber Trotz ist hier gar nichts weltlich zu Verstehendes, es gründet sich auf die Transzendenz, die Schau auf das Jenseits, die die Seele in ihrem Gottvertrauen unbeschadet lässt: “Duld ich gleich hier Hohn und Spott, dennoch bleibst du auch im Leide, Jesu meine Freude.”

Das Wort Trotz hat viele Spielarten. Als Substantiv Trotz und Trutz - und letzteres selbst als Vorname, der eine Tugend mit auf den Lebensweg geben soll - als Verb, trotzen - veraltet trutzen - widerstehen, mit dem Imperativ trotz!, als Adjektiv trotzig, als Bindewort trotzdem und als Präposition trotz. Alle diese Wörter zeigen bei näherer Betrachtung eine Nähe zum Dativ. Das ist offenkundig in der Konjunktion trotzdem, sichtbar aber auch in dem Verb jemandem trotzen, das ein Dativobjekt führt. Der Dativ hat u.a. einen finalen Aspekt, der in der gesprochenen Sprache präpositional durch für oder gegen ausgedrückt wird. Diese ihm innewohnende Aussage widerspricht dem Genitiv, den die Präposition trotz in der Hochsprache verlangt. In dem Text der 3. Strophe wird der authentische Inhalt, deutlich:

Trotz dem alten Drachen!
Trotz dem Todesrachen,
Trotz der Furcht dazu!
Tobe Welt und springe,
ich steh hier und singe
in gar sichrer Ruh. [5]

Ob es sich hier bei “Trotz” um ein Substantiv handelt, um einen Imperativ oder um eine Präposition, das lässt sich wegen des großzuschreibenden Zeilenanfangs nicht eindeutig bestimmen. Das hat den Pastor irritiert, als er die Worte extemporierte und unwillkürlich zum Genitiv griff. Wer wollte es ihm verdenken?

[1] youtube.com - Bach: Jesu, meine Freude, BWV 227 (Mvt. I, II, III)
[2] Motetten-Text: Jesu, meine Freude

Einen Eindruck dieser barocken Lebensphilosophie geben die folgenden Gedichte:

[3] Andreas Gryphius
Tränen des Vaterlandes

Wir sind doch nunmehr ganz, ja mehr dann ganz verheeret!
Der frecher Völker Schar, die rasende Posaun,
Das vom Blut fette Schwert, die donnernde Karthaun
Hat aller Schweiß und Fleiß und Vorrat aufgezehret.

Die Türme stehn in Glut, die Kirch ist umgekehret,
Das Rathaus liegt um Graus, die Starken sind zerhaun,
Die Jungfraun sind geschänd’t, und wo wir hin nur schaun,
Ist Feuer, Pest und Tod, der Herz und Geist durchfähret.

Hier durch die Schanz und Stadt rinnt allzeit frisches Blut;
Dreimal sind’s schon sechs Jahr, als unsrer Ströme Flut,
Von Leichen fast verstopft, sich langsam fortgedrungen;

Doch schweig’ ich noch von dem, was ärger als der Tod,
Was grimmer denn die Pest und Glut und Hungersnot:
Daß auch der Seelen Schatz so vielen abgezwungen

Andreas Gryphius
Es ist alles eitel

Du siehst, wohin du siehst nur Eitelkeit auf Erden.
Was dieser heute baut, reißt jener morgen ein:
Wo itzund Städte stehn, wird eine Wiese sein
Auf der ein Schäferskind wird spielen mit den Herden:

Was itzund prächtig blüht, soll bald zertreten werden.
Was itzt so pocht und trotzt ist morgen Asch und Bein
Nichts ist, das ewig sei, kein Erz, kein Marmorstein.
Itzt lacht das Glück uns an, bald donnern die Beschwerden.

Der hohen Taten Ruhm muß wie ein Traum vergehn.
Soll denn das Spiel der Zeit, der leichte Mensch bestehn?
Ach! was ist alles dies, was wir für köstlich achten,

Als schlechte Nichtigkeit, als Schatten, Staub und Wind;
Als eine Wiesenblum, die man nicht wiederfind’t.
Noch will, was ewig ist, kein einig Mensch betrachten!

[4] Paul Fleming
An sich

Sei dennoch unverzagt! Gib dennoch unverloren!
Weich keinem Glücke nicht, steh höher als der Neid,
Vergnüge dich an dir, und acht es für kein Leid,
Hat sich gleich wider dich Glück, Ort und Zeit verschworen.

Was dich betrübt und labt, halt alles für erkoren,
Nimm dein Verhängnis an, lass alles unbereut.
Tu, was getan sein muss, und eh man dirs gebeut.
Was du noch hoffen kannst das wird noch stets geboren.

Was klagt, was lobt man doch? Sein Unglück und sein Glücke
Ist sich ein jeder selbst. Schau alle Sachen an:
Dies alles ist in dir. Lass deinen eitlen Wahn,

Und eh du fürder gehst, so geh in dich zurücke.
Wer sein selbst Meister ist, und sich beherrschen kann,
Dem ist die weite Welt und alles untertan.

[5] Und zu guter Letzt der Originaltext in seiner altertümlichen Rechtschreibung:

1.

JEsu, meine freude,
Meines hertzens weyde,
Jesu, meine zier:
Ach wie lang, ach lange
Ist dem hertzen bange
Und verlangt nach dir!
GOttes Lamm,
Mein Bräutigam,
Ausser dir sol mir auf erden
Nichts sonst liebers werden.

2.

Unter deinem schirmen
Bin ich für dem stürmen
Aller feinde frey.
Laß den Satan wittern,
Laß den feind erbittern:
Mir steht Jesus bey.
Ob es jtzt
Gleich kracht und blitzt,
Ob gleich sünd und hölle schrecken:
Jesus wil mich decken.

3.

Trotz dem alten drachen,
Trotz dem todesrachen,
Trotz der furcht dazu!
Tobe, welt und springe,
Ich steh hier und singe
In gar sichrer ruh.
Gottes Macht
Hält mich in acht:
Erd und abgrund muß verstummen,
Ob sie noch so brummen.

4.

Weg mit allen schätzen!
Du bist mein ergötzen,
Jesu, meine lust.
Weg, ihr eitlen ehren:
Ich mag euch nicht hören,
Bleibt mir unbewust!
Elend, noth,
Creutz, schmach und tod
Sol mich, ob ich viel muß leiden,
Nicht von Jesu scheiden.

5.

Gute nacht, o wesen,
Daß die welt erlesen,
Mir gefällst du nicht.
Gute nacht, ihr sünden,
Bleibet weit dahine,
Kommt nit mehr ans liecht.
Gute nacht;
Du stoltz und pracht!
Dir sey gantz, du lasterleben,
Gute nacht gegäben.

6.

Weicht, ihr trauergeister,
Denn mein Freudenmeister,
Jesus, trit herein.
Denen, die Gott lieben,
Muß auch ihr betrüben
Lauter zucker seyn.
Duld ich schon
Hie spott und hohn,
Dennoch bleibst du auch im leide,
JEsu, meine Freude.

Aus dem Buch “Das deutsche evangelische Kirchenlied des siebzehnten
Jahrhunderts” von Albert Fischer, Vierter Band, Gütersloh,
Bertelsmann, 1908, S. 93-94.

Gunhild Simon
1.06.2009

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