Thumulla.com

Unstet und flüchtig

Was ist ein “Teekesselchen”? Es ist eine Übertragung aus der Gestalt oder dem vordergründigen Inhalt eines Dings auf ein anderes. Auf diese Weise sind unzählige Wörter entstanden, deren gemeinsamer Bezug kaum noch merklich ist.

Stellt man die Bedeutungen des klassischen Beispiels Schloss, also eines Vorhänge- oder Türschlosses und eines herrschaftlichen Bauwerks, einander gegenüber, so wird offenbar, dass beiden eine Bedeutung von Verschließen und Bewahren innewohnt. Denn das eine bezeichnet einen sicheren Verschluss, während das andere sich durch Unzugänglichkeit und Bewachung auszeichnet.

Ein weiteres klassisches Exempel ist der Hahn. Dazu der Wasserhahn, dessen urtümliche Form entfernt an einen Haushahn erinnert.

Doch nicht nur im Bereich der Substantive gibt es Übertragungen. Auch Adjektive haben solche Bedeutungsvielfalt.

Das Adjektiv flüchtig ist ein Beispiel dafür. [1]

Flüchtig - darin verbirgt sich sich Flucht, ferner flüchten und fliehen, schließlich gar ein Anflug von fliegen. Flüchtig, so bezeichnet man einen Flüchtigen, Fahnenflüchtigen, dem nachgestellt wird, weil er von der Fahne gegangen ist, dem Waffendienst entflieht, sich auf der Flucht befindet. Der Flüchtige ist ein Flüchtling auf der Suche nach einer Zuflucht.

In einem anderen konkreten Zusammenhang bedeutet flüchtig spezifisch ‘leichter als Luft’. Ein flüchtiger Stoff ist gasförmig, er droht zu entweichen, wie ein nicht greifbares Aroma, das sich in Luft auflöst und verflüchtigt.

Die metaphorische Bedeutung von flüchtig ist also vergänglich. Überträgt man das Bild der Flüchtigkeit auf die Ebene der Wahrnehmung, so heißt flüchtig spurlos vorübergehend, verblassend, oberflächlich - ohne Nachhaltigkeit, Tiefgründigkeit, Intensität. Als flüchtig können Eindrücke oder Erfahrungen beschrieben werden - Bilder, Geräusche, Gefühle, Geschmacksempfindungen. Das Merkmal flüchtiger Liebschaften, Bekanntschaften, Begegnungen, eines flüchtigen Blicks oder Lächelns - ist es Oberflächlichkeit, vielleicht Wehmut?

Die Formulierung flüchtiges Schreiben sagt etwas über fehlende Konzentriertheit aus - Flüchtigkeitsfehler, Fehler aus Nachlässigkeit. Flüchtiges Lesen ist das Überfliegen eines Textes.

Flüchtig ist keine Eigenschaft eines Subjekts , sondern eine nähere Beschreibung eines Vorgangs oder Tuns, deshalb wird es als Adverb eingesetzt.

Aus dieser Sicht erklärt sich die feinsinnige Unterscheidung zwischen dem adverbiellen Gebrauch in der Formulierung “etwas flüchtig zur Kenntnis zu nehmen”, und eines attributiven Gebrauchs in der graduell abweichenden “flüchtige Kenntnisnahme”. [2] Die letztere Variante gilt aus diesem Betrachtungswinkel als widersinnig.

[1] bennyhills.fortunecity.com

[2] korrekturen.de: Rechtschreibquiz

Gunhild Simon
11.02.2009

alle    deutsche Sprache    Gunhild Simon    Startseite(__index)



Thumulla.com    Startseite der Artikel    Links und Werbung    Diskussion    Suche auf dieser Seite