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Verblasster Widersinn oder sprachliche Fehlleistung?

In der Rhetorik hat absichtlicher Widersinn einen Platz. Die Formulierung gegen den Strich, gegen die logische Konvention, soll gleichsam als sprachlicher Stolperstein Aufmerksamkeit erregen. Man nennt diese Stilfigur Oxymoron. Die Sonderform, Contradictio in Adiecto, ist der Widerspruch zwischen einem Substantiv und dem hinzugefügten Adjektiv, z. B. armer Krösus, alter Knabe, pulverisiertes Wasser, legale Spionage, bitterer Genuss, missglückter Unfall. Folglich bedingt grammatische Korrektheit nicht inhaltliche Klarheit. Also liegt dem entweder ein Denkfehler zugrunde oder ein bewusster Bruch in der Verkettung.

Präpositionen sind Voranstellungen, die die Beziehung zu einem Substantiv verdeutlichen. Sie bilden zusammen mit einem Substantiv eine präpositionale Fügung, die im Satz wie ein Adverb die Funktion einer adverbialen Bestimmung, eines Adverbiales einnehmen.

Inhaltlich gleichen sich Adverbien und präpositionale Fügungen, sie sind gegeneinander austauschbar, um als Adverbiale zu figurieren: entgegen aller Hoffnung – unverhofft

Die gängigsten Präpositionen sind ursprünglich räumlicher Natur, in, an, bei, zu, über, vor, durch, zwischen, inmitten. Sie sind dann in abstraktere Zusammenhänge übertragbar, z. B. durch den Wald – durch das Schicksal, inmitten des Kreises – inmitten der Widrigkeiten.

An der letztgenannten Präposition, inmitten, wird deutlich, dass auch Substantive zu Präpositionen umgedeutet sein können. Beispiele dafür sind wegen, zeit, längs, mittels, eingedenk, angesichts, dank. Ähnlich verhält es sich mit Adverbien: derzeit, allerorten, hierzulande, außerdem.

Was haben diese Dinge, die so unterschiedlichen Disziplinen wie Rhetorik und Grammatik angehören, miteinander tun?

Augenblicklich erschließt sich der Widersinn, wenn man die Figürlichkeit wörtlich nimmt: inmitten des Weges, zeit der Familie, längs dem Rondell. Verschwommener ist das Unbehagen, wenn die Figürlichkeit schon weitgehend verblasst und übertragen ist: angesichts der Geräuschkulisse, dank dem Missgriff.

Schwerer wiegt es, wenn sich diese Unstimmigkeit in einem planen Zusammenhang zeigt, wenn es also nicht um ein rhetorisches Vexierbild geht, sondern um schiere Verständigung. Dann ist die Präposition dank, die normalerweise wegen, gleichbedeutend ist, nicht in beliebigen Zusammenhängen vertretbar.

Auf diese Weise werden die Formulierungen dank meiner Krankheit, unverhofft starben meine geliebten Eltern, mittels des Todes, ungeachtet seiner fehlenden Einsicht, eingedenk seiner Erinnerungslücken, inmitten der Ewigkeit, am Rande des Universums widersinnig. Zwei figürlich zu verstehende Aussagen verfehlen einander. Eine verfehlte Verbindung, also eine Brechung ohne rhetorische oder poetische Verfremdungsabsicht ist eine sprachliche Fehlleistung.

Gunhild Simon
Feb 11 2010

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