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Verbrektion und Verbvalenz

In den Begriffen Rektion und Valenz stehen sich zwei grammatische Betrachtungsweisen der Funktion gewisser Wortarten gegenüber. Beide besagen grundsätzlich, dass Verben und andere Wortarten – Adjektive, Adverbien, Präpositionen – einen bestimmten Fall nach sich ziehen.

Am Beispiel des Verbs sollen die beiden Perspektiven verdeutlicht werden.

Das traditionelle Grammatikmodell betrachtet ein Wort, das andere Satzglieder zu Objekten macht, als übergeordnet. Daraus erklärt sich der Begriff Rektion, “Regierung”. Nach dieser Vorstellung regiert das übergeordnete Verb ein Objekt. Es ist somit in einem vorbestimmten Kasus einem Verb untergeordnet. [1]

Das generative Grammatikmodell, betrachtet das Verb als Funktion, die notwendige oder mögliche Objekte generiert, erzeugt. Die Fachsprache der generativen Grammatik nennt dies Valenzen, Leerstellen, die das Verb obligatorisch oder potentiell eröffnet, und die im Satz zu füllen sind.

Valenz ist ein Begriff, den die Sprachwissenschaft aus der Chemie entlehnt hat. Valenz, von lateinisch valentia, Kraft, Fähigkeit, bedeutet Wertigkeit, Bindungsfähigkeit. Auf die Eigenschaft von Verben übertragen sagt er etwas über die Funktion grammatischer Abhängigkeiten und Bindungen aus. Die Valenzen eines Verbs sind also die obligatorischen oder potentiellen Leerstellen, die es eröffnet. [2]

Nach diesem Modell haben also Verben mit notwendigen Objekten obligatorische Leerstellen.

Die folgenden Verben regieren nach dem einen Modell je zwei Fälle, oder sie haben nach dem anderen je zwei Leerstellen, die zu besetzen sind:

z. B. jdm etw geben, schenken, mitteilen, vermitteln, versagen, anlasten, (Dativ und Akkusativ), jdn einer Sache aussetzen (Akkusativ und Dativ), jdn einer Sache würdigen, zeihen, bezichtigen, entheben (Akkusativ und Genitiv), jdn etwas nennen, heißen, halten für, erleben als, brauchen als, missbrauchen als, würdigen als (doppelter Akkusativ).

Beispiele für Verben, die einen Fall regieren, die eine Valenz haben:

1. jdn besuchen (Akkusativ)
Das Kind besucht den Großvater. (Akkusativ)

Hier ist “[es] besucht” die Satzaussage. Dem Verb “besuchen” folgt das Akkusativ-Objekt “Wen? den Großvater”.
Das Verb “besuchen” regiert also den Akkusativ. Oder – ausgedrückt in der Sprache der generativen Grammatik –
“besuchen” eröffnet eine obligatorische Leerstelle. Es ist das Akkusativ-Objekt:”Wen” [besucht es]? “den Großvater”.

2. jdm schaden (Dativ)
Der Gast schadet dem Freund. (Dativ)

Dem Verb “schaden” folgt ein Dativ-Objekt “Wem [schadet er]? dem Freund”.

3. einer Sache bedürfen (Genitiv)
Die Kranke bedarf des Zuspruchs.
Hier zeigt sich am Verb “bedürfen”das Beispiel eines Genitivobjekts. (Genitiv) “Wessen [bedarf er]? des Zuspruchs”

An diesen Beispielen wird deutlich, wie Verben ohne das obligatorische Objekt, dessen Kasus sie bestimmen, aussagelos wären.
Manchen Verben folgen auch mehrere obligatorische Objekte, deren Existenz erst ein zuhammenhängendes Verständnis schafft.

Beispiele von Verben mit einer zweifachen obligatorischen Anbindung:

1. jemanden einer Sache entbinden (Akkusativ und Genitiv)
Der Patient entbindet den Arzt seiner Schweigepflicht.

2a. jemandem etwas geben (Dativ und Akkusativ)
Die Mutter gibt dem Kind ein Stück Brot.

2b. jemamden einer Sache aussetzen (Akkusativ und Dativ)
Du setzt mich einem Zwang/einer Gefahr aus.

3. jemanden etwas nennen (Akkusativ und Akkusativ)
Er nennt ihn seinen Freund.

Rektion und Valenz liegt also eine unterschiedliche sprachwissenschaftliche Auffassung zugrunde. Die klassische Grammatik verbindet mit dem Begriff Rektion ein Bild von “Herrschaft”, die über ein Objekt ausgeübt wird, indem ihm ein bestimmter Kasus abgefordert wird. Die generative Grammatik betrachtet diese Verknüpfungspotenz als Valenz, eine dem Verb immanente Kraft, Leerstellen zu eröffnen. Aus dieser Sicht “generiert” das Verb den Objektkasus.

[1] blog.institut1 – Verbrektion – wie Verben einen Kasus regieren

[2] Wikipedia – Valenz (Linguistik)

Gunhild Simon
Aug 15 2012

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