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Verhängnis - Synonym für Bedrohung oder Schicksal?

Es sind schillernde, bedeutungsschwere Begriffe, die menschliche Existenz im Banne höherer Mächte beschreiben: Schicksal, Fügung, Bestimmung, Los, Fatum, Kismet - und Verhängnis.

Wörter, die das Schicksal, das Spiel höherer Mächte zum Inhalt haben, hat es in allerlei Schattierungen und Farben schon in allen Epochen gegeben. Das Spektrum reicht von der Sicht des freiheitlich handelnden Individuums aus der Einsicht in die Grenzen seiner Existenz bis zur Annahme seines Schicksals in Demut als etwas Gottgewolltes. Der Mensch befindet sich in einem Dualismus, im Spannungsfeld seiner eigenen willens- und vernunftgesteuerten Entscheidung und den existenzgebundenen Grenzen, der Lebensendlichkeit.

Die entgegengesetzte Auffassung ist der Determinismus, das orientalische Verständnis des Schicksals als Kismet, als Begriff von Unabänderlichkeit und Vorherbestimmtheit. Das dazugehörige Verhalten ist Ergebenheit bis hin zu Gleichmut und Gleichgültigkeit. Zwischen diesen Extremen bewegen sich die unterschiedlichen Auffassungen von Schicksal. Einem trägen Geist mag es entgegenkommen, Sein und Existenz unabhängig von eigenem Wirken und Zutun zu betrachten. Ein leidenschaftlicher, seiner körperlichen Stärke und geistigen Kraft bewusster Mensch wird umso heftiger dagegen aufbegehren.

Aus der Erfahrung der Leichtigkeit des Seins folgt die Bewusstwerdung eigener Begrenztheit, das Bewusstsein seiner Endlichkeit und das Wissen um seine Vergänglichkeit führt den Menschen zu der Einsicht, seinen Platz für nachfolgende Generationen zu räumen. Dieser Prozess ist getragen von einem bejahenden Willen, der die Auflehnung überwindet. Die schlichten Worte “Erde zu Erde, Asche zu Asche, Staub zu Staub” fassen dies zusammen. Daraus ergibt sich die grundsätzliche Sinnfrage, die Frage nach der Aufgabe im Leben, der Bestimmung des Individuums, schließlich der Beschlossenheit des Einzelschicksals.

“Nimm dein Verhängnis an, laß alles unbereut.
Tu, was getan muss sein, und eh man’s dir gebeut.”
(Paul Fleming, 1609 -1640)

Paul Fleming ist neben Andreas Gryphius und dem Kirchenlieddichter Paul Gerhardt einer der bedeutendsten Lyriker seiner Zeit. In diese Zeit, das Barock, fällt der 30-jährige Krieg, eine Zeit, die Tod und Not allgegenwärtig werden ließ, wo Seuchen und Massensterben, Verrohung, Sittenverfall und Wertezerfall die Menschen in Zweifel und Verzweiflung, wie in Gleichgültigkeit und existentielle Umbrüche stürzten. Wenn es zu einer Umwertung aller Werte in Zeiten des Aufbruchs und Aufruhrs kommt, setzt auch eine Rückbesinnung auf menschliche Kräfte und gute Mächte ein.

Das Sonett Flemings “An sich” mutet an wie die barocke Version des kategorischen Imperativs. Die Normen einer klaren Lebensführung ergeben sich als die Entscheidung für das Notwendige. Diese Übereinstimmung von Sollen und Wollen wird als wahre Freiheit verstanden.

Verhängnis steht hier in einem ursprünglicheren, wertfreien Sinn, nämlich nicht das Verhängnis als Los des Schuldbeladenen, als Racheakt unnachsichtiger Erynnien, sondern wörtlich verstanden als das über die menschliche Existenz verhängte Schicksal, die Einmaligkeit des Lebensverlaufes, dessen Gang dem Einzelnen bestimmt ist. Mag dieser Begriff von Verhängnis - einer Verschwörung gleich - auch alle Bitterkeit des Lebens bündeln, soll Leiden jedoch als etwas Unausweichliches angenommen werden. Annahme bedeutet, alles Bittere gleichsam entgegenkommend zu integrieren als Teil des Lebens. Nur in der Annahme des Leids erweitert und bereichert der Mensch seinen Seelenschatz, durch Hadern und Verbitterung dagegen wird er zermürbt und ausgehöhlt. Der Mensch ist nach diesem Verständnis nicht Herr eines Lebensentwurfs, den zu gestalten, für den zu kämpfen sich lohnt und für dessen Verwirklichung er Entbehrungen auf sich nimmt. Er ist dennoch auch nicht nur ein Spielball launenhafter Unwägbarkeiten, sondern Erfüller seines Schicksals, das er annimmt, um es zu einem würdigen, gottgefälligen Ende zu führen. Nur so, im Festhalten an Gott und demVertrauen auf das Ende des irdischen Lebensweges bei Gott, lassen sich Leid und Elend auf Erden annehmen.

Anhang

I. Zur Biographie Paul Flemings:

Geboren am 5.10.1609 zu Hartenstein in Sachsen, wurde er Schüler der Thomasschule in Leipzig (1623), studierte dann hier Medizin, trieb jedoch daneben schönwissenschaftliche und philosophische Studien. Schon zu Ende des Jahres 1631 wurde er zum Dichter gekrönt; 1632 am 2. Mai Magister. Durch Vermittlung seines Freundes Adam Olearius machte er die beiden großen, vom Herzoge von Schleswig-Holstein-Gottorp veranstalteten orientalischen Reisen mit. Nach Beendigung der zweiten Reise ging Fleming nach Leiden (Oktober 1639) und wurde hier Doktor der Medizin (23. Januar 1640). Auf der Rückreise starb er in Hamburg am 2.4.1640.

http://gutenberg.spiegel.de/index.php?id=19&autorid=169

II. Dokumente - Beispiele barocker Lyrik:

Paul Fleming (1609 - 1640)
An sich

Sei dennoch unverzagt! Gib dennoch unverloren!
Weich keinem Glücke nicht, steh höher als der Neid,
Vergnüge dich an dir, und acht es für kein Leid,
Hat sich gleich wider dich Glück, Ort und Zeit verschworen.

Was dich betrübt und labt, halt alles für erkoren,
Nimm dein Verhängnis an, lass alles unbereut.
Tu, was getan sein muss, und eh man dirs gebeut.
Was du noch hoffen kannst das wird noch stets geboren.

Was klagt, was lobt man doch? Sein Unglück und sein Glücke
Ist sich ein jeder selbst. Schau alle Sachen an:
Dies alles ist in dir. Lass deinen eitlen Wahn,

Und eh du fürder gehst, so geh in dich zurücke.
Wer sein selbst Meister ist, und sich beherrschen kann,
Dem ist die weite Welt und alles untertan.

Paul Gerhard
Befiehl du deine Wege (1659)

Befiehl du deine Wege
Und was dein Herze kränkt,
Der allertreusten Pflege
Des, der den Himmel lenkt!
Der Wolken, Luft und Winden,
Gibt Wege, Lauf und Bahn,
Der wird auch Wege finden,
Da dein Fuß gehen kann.
Dem Herren mußt du trauen,
Wenn dir’s soll wohlergehn;
Auf sein Werk must du schauen,
Wenn dein Werk soll bestehn.
Mit Sorgen und mit Grämen
Und mit selbsteigner Pein
Läßt Gott sich gar nichts nehmen,
Es muß erbeten sein.
Dein’ ew’ge Treu’ und Gnade,
O Vater, weiß und sieht,
Was gut sei oder schade
Dem sterblichen Geblüt;
Und was du dann erlesen,
Das treibst du, starker Held,
Und bringst zum Stand und Wesen,
Was deinem Rat gefällt.

Weg’ hast du allerwegen,
An Mitteln fehlt dir’s nicht;
Dein Tun ist lauter Segen,
Dein Gang ist lauter Licht,
Dein Werk kann niemand hindern,
Dein’ Arbeit darf nicht ruhn,
Wenn du, was deinen Kindern
Ersprießlich ist, willst tun.

Und ob gleich alle Teufel
Hier wollten widerstehn,
So wird doch ohne Zweifel
Gott nicht zurückegehn;
Was er sich vorgenommen,
Und was er haben will,
Das muß doch endlich kommen
Zu seinem Zweck und Ziel.

Hoff, o du arme Seele,
Hoff und sei unverzagt!
Gott wird dich aus der Höhle,
Da dich der Kummer plagt,
Mit großen Gnaden rücken;
Erwarte nur die Zeit,
So wirst du schon erblicken
Die Sonn’ der schönsten Freud’.

Auf, auf, gib deinem Schmerze
Und Sorgen gute Nacht!
Laß fahren, was dein Herze
Betrübt und traurig macht!
Bist du doch nicht Regente
Der alles führen soll;
Gott sitzt im Regimente
Und führet alles wohl.

Ihn, ihn laß tun und walten,
Er ist ein weiser Fürst
Und wird sich so verhalten,
Daß du dich wundern wirst,
Wenn er, wie ihm gebühret,
Mit wunderbarem Rat
Die Sach’ hinausgeführet,
Die dich bekümmert hat.

Andreas Gryphius (1616- 1664)
Es ist alles Eitel

DU sihst / wohin du sihst nur Eitelkeit auff Erden.
Was diser heute baut / reist jener morgen ein:
Wo itzund Städte stehn / wird eine Wisen seyn /
Auff der ein Schäfers-Kind wird spilen mit den Herden:

Was itzund prächtig blüht / sol bald zertretten werden.
Was itzt so pocht und trotzt ist Morgen Asch und Bein /
Nichts ist / das ewig sey / kein Ertz / kein Marmorstein.
Itzt lacht das Glück uns an / bald donnern die Beschwerden.

Der hohen Thaten Ruhm muß wie ein Traum vergehn.
Soll denn das Spil der Zeit / der leichte Mensch bestehn?
Ach! was ist alles diß / was wir vor köstlich achten /

Als schlechte Nichtigkeit / als Schatten / Staub und Wind;
Als eine Wisen-Blum / die man nicht wider find’t.
Noch wil was Ewig ist kein einig Mensch betrachten!

Andreas Gryphius
Threnen des Vatterlandes
(Tränen des Vaterlandes)

Wir sind doch nunmehr gantz, ja mehr denn gantz verheeret!
Der frechen Völcker Schar, die rasende Posaun
Das vom Blutt fette Schwerdt, die donnernde Carthaun
Hat aller Schweiß und Fleiß und Vorrath auffgezehret.

Die Türme stehn in Glutt, die Kirch ist umgekehret.
Das Rathhauß ligt im Grauß, die Starcken sind zerhaun,
Die Jungfern sind geschänd’t, und wo wir hin nur schaun,
Ist Feuer, Pest, und Tod, der Hertz und Geist durchfähret.

Hir durch die Schantz und Stadt rinnt allzeit frisches Blutt.
Dreymal sind schon sechs Jahr, als unser Ströme Flutt,
Von Leichen fast verstopfft, sich langsam fort gedrungen,

Doch schweig ich noch von dem, was ärger als der Tod,
Was grimmer denn die Pest und Glutt und Hungersnoth,
Dass auch der Seelen Schatz so vielen abgezwungen.

Gunhild Simon
20.05.2008

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