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Verruchtes aus der Gerüchteküche

In der Ballade “Die Kraniche des Ibikus” von Friedrich Schiller heißt es:
“Das ist der Eumeniden Macht!
Der fromme Dichter wird gerochen,
Der Mörder bietet selbst sich dar.” [1]

Hier ist gerochen keine Form von riechen, sondern es ist ein veraltetes Partizip von rächen - dokumentiert durch die Rachegöttinnen mit dem beschönigenden Namen Eumeniden. [2]

In Geruch, Ruch, Rauch, Rache und Ruf gilt es mehrere miteinander verflochtene Wurzeln zu entwirren.

Ruch ist ein veraltetes Wort für Geruch, Ausdünstung, Duft, das in gehobener Sprache noch vereinzelt auftritt: “der Ruch des Bösen”, “der Ruch von Korruption”, englisch the smell of corruption. Dazu gehört das einem Geruch zugehörige Verb anhaften.

Das Verb riechen, mittelhochdeutsch riechen, niederländisch rieken bedeutete zunächst rauchen, dampfen, ausdünsten. Seit mittelhochdeutscher Zeit kam die Bedeutung “einen Geruch wahrnehmen, wittern” hinzu.

Um das Wort riechen gruppieren sich rauchen, Rauch, Geruch.

Anders verhält es sich dem gleichlautenden Wort Geruch, das in der Wendung “im Geruch stehen”, den Ruf haben, auftritt. In dieser Formulierung hat Geruch nichts mit riechen zu tun, sondern es geht auf ein noch älteres - Geruchte, Gerufe, Geschrei - zurück, so daß es also zur Familie von rufen gehört. Damit ist das Gejammere und Geschrei gemeint, mit dem das Gericht angerufen, vor Gericht Klage erhoben wurde. Man erkennt darin die Verbindung zu Ruf, Leumund.

Hier liegt die Wurzel von Gerücht, mittelniederdeutsch geruchte, mittelhochdeutsch geruofte, umlaufendes Gerede. Dazu gehört das Adjektiv ruchbar. Es bedeutet in der Wendung “ruchbar werden” durch umlaufendes Gerücht bekannt werden. Dazu gehört das Adjektiv anrüchig, übel beleumundet, das aus älteren Form anrüchtig, ehrlos, entstanden ist, und das Adjektiv berüchtigt, in schlechtem Rufe stehend. Es ist aus einem untergegangenen Verb berüchtigen, “ein Geschrei über jemanden erheben” hervorgegangen.

Aus einer dritten Quelle speisen sich die Wörter ruchlos, frevelhaft, gottlos und verrucht, verworfen, und die daraus abgeleiteten Substantive Ruchlosigkeit, Niederträchtigkeit und Verruchtheit, Verderbtheit: Zugrunde liegt diesen das mittelhochdeutsche Wort ruoch, Acht, Bedacht, Sorgfalt.

Verrucht, mittelhochdeutsch verruocht, achtlos, sorglos, ist das Partizip II aus mittelhochdeutsch verruochen, sich nicht kümmern, verkümmern lassen, dessen Präfix ver- die Bedeutung von ruochen, sich kümmern, sorgen, ins Gegenteil verkehrt.
Auf diese Weise wird ruchlos gebildet. Mittelhochdeutsch ruochelos bedeutete es zuvor unbekümmert, sorglos. Die heutige Bedeutung hat sich aus “unbekümmert gegenüber dem, was geheiligt ist”, zu ehrfurchtslos entwickelt.

Zu dieser Wortgruppe gehört auch das Verb geruhen, das nur scheinbar etwas mit ruhen zu tun hat, sondern ursprünglich die Bedeutung Sorge tragen, bedacht sein, aus mittelhochdeutsch geruochen, sich kümmern, trug.

[1] literaturwelt.com - Die Kraniche des Ibykus
[2] Eumeniden, wohlmeinende Göttinnen der Gnade. Das ist ein besänftigender Name für die Erynnien, die Rachegöttinnen. Der Euphemismus beabsichtigte, sie, die Furien, gnädig zu stimmen.

Gunhild Simon
15.11.2008

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