Verwünscht! Was aber ist dann verwunschen?
Wenn einem etwas missglückt, ist man geneigt zu fluchen. Hier offenbaren sich Sitte und Anstand in gepflegter Sprache. Also sucht man, um sich schockierender Kraftausdrücke der Vulgärsprache zu enthalten, nach angemessenen Begriffen. Fluchen verstößt gegen das Gebot Gottes, gegen die guten Sitten, die Sittsamkeit und ist auch ein Zeichen von Unbeherrschtheit.
Ein dergestalt moderater Fluch, eine gesellschftsfähige Verwünschung lautet Verwünscht! Man verwünscht - verdammt, verflucht - das Missgeschick.
Das Verb verwünschen drückt entweder aus, dass eine Macht außerhalb eigenen Zutuns den glücklichen Ausgang verhindert, dadurch ein böser Zauber darüber liegt. Oder es sagt aus, dass ein böser Zauber darüber verhängt wird, ein schlimmer Ausgang angewünscht wird.
- Verwünschen ist ein Wort, das alten Zeiten, als das Wünschen noch geholfen hat, verhaftet ist. In dem Märchen Dornröschen verfügen die königlichen Eltern der neugeborenen Prinzessin nicht über genügend königliches Geschirr und nehmen deshalb in Kauf, statt der dreizehn weisen Frauen nur zwölf zum Festmahl zu laden. Diese Schmach lässt die verschmähte dreizehnte Fee zur bösen Fee werden, die ihre Kränkung in eine Verwünschung kleidet. Deren schier unabwendlbarer Zauber besteht darin, die zum Mädchen erblühte Prinzessin samt Schloss und Hofstaat eines Tages in einen Todesschlaf zu versenken. Dieser böse Zauber kann nur durch den noch ausstehenden Spruch der zwölften guten Fee abgemildert werden zu einem hundertjährigen Schlaf.
Daraus erschließt sich zunächst das Wesen der Verwünschung als böser Zauber.
Verwünschung leitet sich ab aus dem Verb verwünschen, das seinerseits wünschen enthält, dazu das Präfix, dieVorsilbe, ver- als Ausdruck der Negation des Inhalts, den das Ursprungsverb repräsentiert.
Das Präfix ver- hat unterschiedliche Bedeutungen. Allgemein lässt es sich als Verkehrung im figürlichen wie im metaphorischen Sinne oder als Resultat eines Prozesses wahrnehmen. Das zeigt sich an reflexiven Verben wie sich verirren, verlieben, verlaufen, vertun, verschreiben, verrechnen, versprechen, versehen oder resultativen wie verhungern, verdursten, versterben, etwas verlieren, verkaufen, verzaubern, versuchen. Allen liegt ein jeweiliges Ursprungsverb zugrunde. Es bezeichnet entweder einen der Entgleisung vorausgehenden Zustand oder Prozess, oder es drückt die Verlaufsvariante aus, der nun das Resultat gegenübersteht in Form eines abgeleiteten, derivierten, Verbs.
Verwünscht ist das Partizip Perfekt Passiv von verwünschen. So wie wünschen früher eine starke Konjugation hatte, die sich zu einer schwachen abgeschliffen hat, ist diese starke Form noch in dem Adjektiv verwunschen, das neben verwünscht steht, erhalten.
Wenn beide auf dasselbe Verb zurückgehen, stellt sich die Frage nach ihrer inhaltlichen Abgrenzung. Verwünscht ist das Partizip des Verbs verwünschen, verwunschen ist nur noch ein Adjektiv. Beiden wohnt inhaltlich der Aspekt des Verzaubertseins inne. Das Adjektiv verwunschen hat jedoch einen metaphorischen, übertragenen Sinn, also gleichsam verzaubert.
Diese Erscheinung lässt sich auch an anderen Partizipien nachweisen, die neben ihren regelmäßig gebildeten Pendants veralteten starken entstammen. Vergleichbar zu der Bildung verwunschen mit der regelmäßigen Form gewünscht des zugrundeliegenden Verbs wünschen sind die folgenden:
verschollen - schallen, geschallt
verschroben - schrauben, geschraubt
verwoben - weben, gewebt
verblichen - bleichen, gebleicht
auserkoren - küren, gekürt
verloschen - löschen, gelöscht
hartgesotten - sieden, gesiedet
gespalten - spalten, gespaltet
abgewogen - wägen - gewägt
gewandt - wenden, gewendet
Alle diese Partizipien, die sich aus veralteten Verbformen ableiten lassen, werden als Adjektive in einem metaphorischen Sinn verwendet. Sie weisen regelmäßig flektierte Parallelen auf, die figürlich zu verstehen sind.
Gunhild Simon
9.01.2008
alle deutsche Sprache Gunhild Simon Startseite(__index)