Thumulla.com

Von außen diskret - aber er hat’s buchstäblich in sich: der Mund

Die Ursprünge des Wortes Mund haben zwei unterschiedlich anmutende Quellen: munt, mittelhochdeutsch, mund, althochdeutsch mit der englischen Ensprechung mouth und der schwedischen mun einerseits und andererseits dem lateinischen mentum, Kinn, das einen Bezug hat zu der indogermanischen Wurzel menth, kauen. Mund, Kinnlade, auch übertragen die Öffnung, gehören in Bedeutung und Herkunft eng zusammen.

Eine Reihe von Ableitungen und Übertragungen deuten auf diesen Zusammenhang hin. So spricht man von münden als sich ergießen, übertragen hinführen, etwa bei der Mündung eines Flusses oder einer Straße. Die Mündung einer Feuerwaffe bezeichnet die Öffnung. Dagegen ist munden, wohlschmecken, ganz figürlich das Wohlgefühl im Mund betreffend verständlich, mündlich heißt gesprächsweise, Mundwerk, bezeichnet Redefreudigkeit, Mundschenk ist der historische Beruf eines für die Getränke verantwortlichen Hofbeamten.

Die Wortgruppe um den Begriff Vormund , den rechtlichen Vertreter einer minderjährigen oder entmündigten Person, hat sich schon früh als übertragener Begriff für Schutz, Schirm und Macht - schützend über das zu schützende Gut gehaltene Hand - abgespalten. Altenglisch heißt mund Schutz, Vormundschaft, altisländisch bedeutet es Hand, das überschneidet sich wiederum mit manus, lateinisch Hand, das übertragen ebenso Macht bedeutet, wie man es auch in einer Vielzahl von Redewendungen in unserer Sprache wiedererkennt: manipulieren, aus der Hand geben, in der Hand haben. Zu dieser Wortgruppe gehören Mündel, mündig, mundtot, bevormunden.

Auch in einigen altgermanischen Namen taucht -mund auf. Hier erkennt man die Gemeinsamkeit der übertragenen Bedeutungen von Mund im Sinne von Sprecher und Beschützer: Sigmund, Giselmund, Edmund.

Augen, Nase und Ohren nehmen auf, sind leise, können leicht bedeckt und verschlossen werden. Der Mund ist das vielseitigste Sinnesorgan unseres Gesichts. Hier spielen sich unterschiedlichste Aktivitäten ab.

Der Mund atmet. Er spricht in allen Tönen. Er beißt und spuckt. Er schmeckt, isst und trinkt. Er ist prädestiniert für Zärtlichkeit. Er küsst, kost und schmeichelt, er tastet, saugt, befeuchtet. Der Mund kann Laute formen - lallen, schreien und sprechen, lachen und weinen, schluchzen, seufzen und stöhnen.

Aus dem Mund formen sich Laute, schöne wie die Laute des Wohlgefühls, der Liebe, der Zärtlichkeit. Lachen, Jubeln, Jauchzen - was hierzulande ganz unüblich geworden ist. Singen, Summen, Pfeifen - sogar Melodien von größter Schönheit. Das Sprechen, das mit Worten Taten zu ersetzen weiß, über weiteste Entfernungen anzurühren versteht. Aber nicht nur sanfte, erhebende, auch raue und grobe Töne wie Schreien, Schimpfen und Fluchen, Schmerzenslaute und Wehgeschrei.

Der Mund kann Genüsse begutachten. Er hat so diesseitige existentielle Aufgaben wie Nahrungsaufnahme und -zerkleinerung, Speichelproduktion, also einer Flüssigkeit, die uns selbst unabdingbar, für andere jedoch eine Ekelqualität hat. Dabei so köstliche Fähigkeiten wie Schmecken, was zunächst der Unterscheidung von gut und schlecht dient, jedoch zu höchster Verfeinerung entwickelt ist.

Die Mundhöhle ist eine feuchtwarme Zone, stets damit beschäftigt, Geschmack und Substanz zu begutachten. Zu kosten, zu prüfen, zu zerkleinern, zu bewegen, zu behalten, bereit, im Schlucken das Erfahrene dem Einverleiben zu übergeben. Ein Organ im Gesicht, mit furchtbaren Zähnen bewehrt, mit zarthäutigen Lippen - mal einladend lächelnd, rot und weich, mal abstoßend, gemein und unangenehm verzerrt.

Schließlich die bewegliche, sensible Zunge darin, die einem selbst so intim und vertraut ist. Man zeigt sie tunlichst nur selten als Inbegriff von Verachtung des anderen. Der Arzt begutachtet sie bei Kindern als Indikator des Gesundheitszustandes. Sie hat eine ungeheure Aufnahmefähigkeit: sie schmeckt, saugt, lutscht und tastet. Eifer oder Versunkenheit lässt sie bisweilen unversehens hervorlugen. Schaut man sie sich getrennt an, streckt man sie sich selbst heraus, um sie genauer zu untersuchen, mutet ihre tierhafte Flinkheit ein wenig befremdlich an. Sie zeigt dann ihre eigentümlich warzige, teils belegte Oberflächenstruktur. Wie schwer sie sich greifen lässt, erfährt man durch einen augenblicklichen Würgereiz.

Zunge, englisch tongue, französisch langue überschneidet sich auch im Deutschen mit Sprechen und Sprache: In vielen Zungen reden, O, dass ich tausend Zungen hätte! Auf Lateinisch heißt lingua sowohl Zunge wie auch Sprache. Hier zeigt sich, wie unabdingbar dieses verborgene und doch so spürbare Organ für Kommunikation und Wohlgefühl ist. Gunhild Simon
19.01.2008

alle    deutsche Sprache    Gunhild Simon    Startseite(__index)



Thumulla.com    Startseite der Artikel    Links und Werbung    Diskussion    Suche auf dieser Seite