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Weißt du? oder Weist du?

“Du weißt” und “du weist” – nur diese eine Form der Verben wissen und weisen ist verwechslungsanfällig, weil sie gleich klingen. Tückischerweise ist sie in Form von “weißt du” besonders häufig. Es handelt sich um die 2. Person Singular , die bei gleichem Klang unterschiedlich geschrieben wird.

Eine besondere Schwierigkeit liegt in der inhaltlichen Verwandtschaft beider Verben. Sowohl weisen als auch wissen haben etwas mit Weisheit und Gewissheit, Weisung und Gewissen, Weissagung und Gewisssein, mit weise und gewiss zu tun. Ein Weiser ist zugleich auch ein Wissender, einer, der den Weg weisen kann, muss wissen, wohin er einen leiten will. Ihre Bedeutungen sind nahe beieinander, aber dennoch verschieden. Wissen bedeutet kennen, und weisen bedeutet leiten. Wissen ist das Ergebnis von Unterweisung. In der grammatischen Terminologie heißt ein “kausales” Verb, das den Anlass, den Grund für einem Zustand gibt, Veranlassungs- oder Kausativverb. So verstanden ist weisen das Kausativverb zu wissen. [1]

Mit beiden Verben hängen Komposita zusammen, deren Herkunft, ob von wissen oder weisen oder gar der Farbe weiß abgeleitet, sich nicht unmittelbar erschließt: wohlweislich, naseweis. Wohlweislich bedeutet also recht/richtig gewiesen. Naseweis bedeutet – mit einem scherzhaften Unterton – eine nicht über den Kopf, die Augen oder Ohren erworbene Weisheit, sondern über den fragwürdigen Weg der Nase. Ein Wort, ähnlich wie altklug, schon wohlwollend kindlichem Urteil vorbehalten.

Durch Vorsilben hat das Verb weisen eine Vielzahl Ableitungen, die oft den ursprünglichen figürlichen Inhalt kaum noch durchscheinen lassen: verweisen (jdn, auf etw., mit Gen), beweisen, sich erweisen, aus-, ein-, über-, unter-, vor-, zu-, ab-, an-, hin-, zurechtweisen.

Dagegen ist das Verb wissen eher karg. Es sperrt sich gegen Präfixe. Darin ist es den Modalverben ähnlich, mit denen es auch einen Teil seines Gebrauchs und seiner Personalendungen teilt. Wissen heißt nicht nur über eine gesicherte Kenntnis zu verfügen – “Ich weiß die Lösung.” – sondern es kann auch eine Fertigkeit im Sinne eines Könnens ausdrücken: “Ich weiß mir zu helfen.”

Wie wissen und können inhaltliche Parallelen haben, haben sie auch grammatische. Sie bestehen in den Personalendungen des Präsens. Wie die anderen Modalverben hat wissen in der 3. Person Singular, er/sie/es, nicht die übliche Personalendung /t/. Diese Form heißt also “er/sie/es weiß”. Entsprechend werden die der anderen Modalverben gebildet: er kann, muss, soll, darf, will, mag.

Darin unterscheidet sich wissen – 3. Person Singular: “er/sie /es weiß” – also auch von seinem gelegentlichen Doppelgänger weisen -”er/sie/es weist”.

Der Schreiber muss sich bei der kritischen 2. Person Singular fragen, ob seine Aussage auf wissen im Sinne von kennen abzielt – dann schreibt er “du weißt” oder auf weisen im Sinnen von leiten, dann schreibt er “du weist”.

Aus orthographischer Sicht ist auch die Nähe zwischen /ss/ und /ß/ einzubeziehen, die auf ein schafes /s/ hinweisen, das oft in seinem Ursprung nur über eine Verlängerung zu ermitteln ist. Gerade das Verb wissen führt uns allerdings in die Irre, weil Verlängerungen nur mit dem Wortstamm wiss- zustandekommen. Es existieren keine mit dem langen Diphtong /ei/, der sich in “ich weiß, du weißt, er weiß” zeigt. Hingegen führen Verlängerungen, die aus Formen von “weisen” gebildet werden, immer zu einem weichen /s/ und ermöglichen aus diesem Blickwinkel die Abgrenzung zu “wissen”.

[1] http://www.blog.institut1.de/2009/kausative-verben-eine-verbgruppe-die-etwas-uber-wirkungen-aussagt/

Gunhild Simon
Apr 05 2010

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