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Wissen oder weisen - weißt du noch oder weist du schon?

Wissen und weisen haben gemeinsame Wurzeln.

Aus mittelhochdeutsch wizzen, das etwas mit sehen, erblicken zu tun hat, leitet sich wissen ab. Dem Wissen geht eine kognitive Verarbeitung voraus: wahrnehmen, erfassen, erfahren, einordnen. Aus einer Ansammlung von Wissen ergibt sich, weise, ein Weiser zu sein, Weisheit zu erlangen.

Leicht zu verwechseln mit wissen ist weisen, besonders in der 2. Person, Singular, Präsens. Denn diese Formen unterscheiden sich nur in ihrer Schreibweise voneinander. Während sich aus wissen die Form du weißt ergibt, wird aus weisen die Form du weist. Aus dem Verb wissen ist das Kausativum weisen abgeleitet. [1] Weisen bedeutet folglich, jemanden wissend machen, wissen lassen.

Mit weisen hängt die Weise zusammen. Sie hat verschiedene Aspekte: Anschein, Erscheinung, Aussehen, Art, Modus, auch übertragen als Weise, Lied, Melodie. Eine modale Bedeutung hat das adverbielle Suffix -weise, z. B. versuchsweise, probeweise.

Zu weisen gibt es eine große Anzahl an Präfixbildungen: beweisen, Beweis, erweisen, Erweis, verweisen, Verweis, hinweisen, Hinweis, ausweisen, Ausweis, Ausweisung anweisen, Anweisung, unterweisen, Unterweisung u. a., deren Kern das Erblicken ist. Hier ergibt sich ein Zusammenhang zu Vision, Visum aus lateinisch videre, video, visi, visum.

Mit wissen haben Witz, gewitzt zu tun, unmittelbarer noch gewiss, Gewissen, bewusst, Bewusstsein, Wissen und Wissenschaft. Das Verb weisen, mittelhochdeutsch wisen, ist eine Ableitung von dem Adjektiv weise, althochdeutsch, mittelhochdeutsch wis, englisch wise. Es bedeutet wissend machen, führen. Die drei Weisen aus dem Morgenland folgen einer Weisung. Der Stern weist den Weg. Die Bedeutung des Führens wird deutlich in Weisel, Anführer, Bienenkönigin. In weissagen, Weissagung, weismachen erkennt man weise.

Auch wenn die Herkunft der Verben wissen und weisen miteinander verknüpft sind, sind sie unterschiedlich zu schreiben.

Beide Verben haben unregelmäßige Formen:
- wissen, ich weiß, du weißt, er weiß, wusste, gewusst
- weisen, wies, gewiesen.

Das Verb wissen hat noch eine Besonderheit, die es in die Nähe der modalen Hilfsverben rückt. Während die reguläre Endung der 3. Person Singular /-t/ lautet, fehlt diese bei wissen. Es kann nämlich wie ein modales Hilfsverb auch zur Modifizierung eines Verbs gebraucht werden, indem es mit einem Infinititiv verknüpft die Aussage von können in einem kognitiven Sinne annehmen kann, z. B. Er weiß zu reden = Er kann reden.

Dass “weiß”, die Farbe, mit “ich weiß” und “er weiß” klanglich und orthographisch übereinstimmt, hat einen anderen Hintergrund. Weiß liegt das gemeingermanische Adjektiv wiz, althochdeutsch [h]wiz, englisch white, schwedisch vit zugrunde. Es ist verwandt mit Weizen und bedeutete ursprünglich hell, licht.

Deshalb ist “naseweis” nicht “weiß an der Nase”, sondern nur “von der Nase geführt”, daher also nicht wirklich weise.

[1] zu kausativen Verben vgl. blog.institut1: Kausative Verben - eine Verbgruppe, die etwas über Wirkungen aussagt

[2] Zur ausführlichen Information über den Stand der Diskussion um die orthographischen Fragen der S-Laute: Wikipedia - ß

Gunhild Simon
14.11.2008

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