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Zeitläufte

Zeit ist nur den Menschen ein Maßstab. Jedem anderen Wesen scheint ein Bewusstsein dafür zu fehlen. Die Zeit zu betrachten in ihren Dimensionen von Vergangenheit und Zukunft, getrennt durch einen kaum erfassbaren Punkt, die Gegenwart, das ist nur dem menschlichen Bewusstsein eigen.

In der Grammatik stehen diese drei Zeitbegriffe, drei Monolithen gleich, wohlgeordnet nebeneinander - das, was da war, was da ist und das, was kommt. Im Leben jedoch überschneiden sich Vergangenes, Gegenwärtiges und Zukünftiges.

Um die Zeit herauszuheben aus dem profanen Vorübergehen gibt es zusätzliche Differenzierungen. Man spricht vom Laufe der Zeit, vom Zeitenlauf und von der Zeiten Lauf.

In der Alltagssprache legt der Ausdruck “im Laufe der Zeit” Gedanken an Gewohnheit und Anpassung nahe. Auch ein Filmtitel lautet: “Im Lauf der Zeit”.

Die Liedzeile “… der aller Zeiten Lauf von Anfang an begründet …” [1] macht den Zeitenlauf zu etwas Übergeordnetem. Thomas Mann gebraucht das Wort Zeitläufte in seinem historischen Roman “Joseph und seine Brüder”, der mehr die Zeitlichkeit denn die Historie zum Thema hat.

Was sollte Zeitläufte anderes sein als Zeitläufe? Ist man als unbefangener Leser nicht zunächst geneigt, darin einen Schreibfehler zu lesen? Doch tatsächlich, ein veralteter Singular von Läufte hieß einmal “Lauft”. Er hat die gleiche Bedeutung wie Lauf. Die alten Endungen /t/, ft/ sind auch in Inbrunst (brennen),Vernunft (nehmen), Zukunft (kommen) erkennbar. Sie dienten zur Kennzeichnung abstrakter Begriffe.

Zeitläufte - eine Rubrik in der ZEIT und damit auch ein Wortspiel nahelegend - muten umfassender und gewichtiger an als Zeitläufe. Lauf kommt ohne Pluralform aus, wie man an “Lauf der Gestirne”, “der Wolken, Luft und Winde” ersieht. Nur eindeutig Konkretes wie Bach-, Fluss- und Wasserläufe erfordern den Plural Läufe. Der Plural Läufte ist nur in der festen Verbindung mit Zeit, Zeitläufte, erhalten geblieben. Das Wort gehört der gehobenen Sprachebene an. Zeitläufte scheint zum Ausdruck zu bringen, dass die Zeit existentiell und schicksalhaft über den Menschen steht. Die mit der altertümlichen Endung verbundene Abstraktheit macht es zu einem Begriff eines zeitbedingten Laufs der Ereignisse. Das Grimm’sche Wörterbuch beschreibt die Läufte als “ganze Zeitabschnitte und die in ihnen geschehenden Ereignisse”. [2]

[1] Jochen Klepper: Die Nacht ist vorgedrungen, EG Nr. 16
[1] kommunitaeten.de: Quatember

[2] Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm: LAUFT

Gunhild Simon
7.02.2009

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