Zweifel, Zwist und Zwietracht: Lautliche Ambivalenzen?
Im Deutschen fällt eine Wortgruppe auf, die mit der ungewöhnlichen Buchstabenkombination zw beginnt. Sie scheint zunächst auf zwei und die Vielzahl ihrer Abkömmlinge zwo, zwie, zween, zwier, zwi- hinzudeuten. Einige jedoch haben eine dunkle Herkunft, wo sich Dichtung und Wahrheit vermengen.
Wörter, die mit zw- beginnen deutet man spontan in Richtung einer
Zweiteilung, die schließlich einen Ausdruck von Aufspaltung oder
Fehlhaltung annehmen. Einigen Wörter wohnt diese Bedeutung geradezu
greifbar inne: entzwei, zwischen, Zwilling (aus althochdeutsch zwinmal,
doppelt), Zwirn (aus zwei Fäden gedreht), Zwillich (zweifädig), Zweig,
Zweifel, Zwiesel (gegabelterer Baumstamm), Zwille (Steinschleuder aus
einem gegabelten Zweig), Zwist, Zwitter.
Zwiespalt, Zwietracht und Zwiesprache sind zwar noch geläufig,
sie haben genau besehen ein vielfältiges Wurzelgeflecht: Zwiespalt
erscheint in gewisser Hinsicht widersinnig, da es nicht eine doppelte
Spaltung ausdrückt sondern eine Aufspaltung in zwei Teile. Es ist eine
Rückbildung zu zwiespältig, althochdeutsch zwispaltig, das in
zwei Teile gespalten bedeutet. Zwietracht, das Gegenwort zu Eintracht,
lässt vom gemeinsamen Tragen rückschließen auf das mittelhochdeutsche entzwei tragen, das neben trachten,
streben, steht. Zwiesprache halten bezeichnet ein Gesprach unter vier
Augen, also eine Aussprache zweier Personen. Beten wird als Zwiesprache
mit Gott empfunden. Dagegen drückt Zwiesprache mit sich halten ein
In-sich-Gehen aus. Dabei liegt die Vorstellung zugrunde, der äußere
Mensch setze sich mit seinen Inneren auseinander.
Vorsilben lassen die Übereinstimmung der Bedeutung ahnen
Im Englischen entspricht der Laut [tw] – two, twelve, twenty – dem deutschen [zw] – zwei, zwölf, zwanzig. Blickt man noch weiter zurück, so lässt sich zwischen zwi- und twi- und den griechisch-lateinischen Präfixen di-/dy-/dis-/dys
- dichotom (gegabelt), Dyade (Zweiheit), Dissens
(Meinungsverschiedenheit), Dysfunktion (Fehlfunktion) - die gleiche
Übereinstimmung feststellen. All diese Laute haben nämlich eine
gemeinsame indogermanische Wurzel. Sie ist die Grundlage für duo, dyo, deux, two und zwie, zwo oder zwei.
Ähnlich dem griechisch-lateinischen Präfix, das sich in einer
Vielzahl von Fremdwörtern in unserer Sprache zeigt, hat auch die
deutsche Vorsilbe zer- die offenkundige Bedeutung von Zerteilung, gar Zerwürfnis und Zerstörung.
Die Zwecke erfüllt ihren Zweck – die Zwinge ist das Abbild des Zwangs
Dagegen geben sich andere Wörter zunächst nicht so unmittelbar zu erkennen:
Reisszwecken
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Zwecke, mittelhochdeutsch zwec, ist ein Nagel,
ursprünglich wohl ein solcher, der aus einem gegabelten Zweig gefertigt,
als Haken zum Aufhängen einer Zielscheibe diente. Hier hat der Zweck seinen Ursprung. Daraus lässt sich zwicken ableiten, zwischen zwei Nägeln oder Fingern zusammenhalten, schließlich anzwecken, annageln; zwirbeln,
zwischen zwei Fingern drehen. Hier spielt das Drechseln mit hinein, das
auch das Drehen und Wenden zum Inhalt hat. Alle diese Verben haben auch
einen lautmalenden Anteil. So versteht man unmittelbar zwicken und zwacken als kneifen, ebenso abzwacken,
in der Bedeutung von unter der Hand etwas abzweigen – dies ist der
Hintergrund der Bezeichnung des Kulmbacher Zwickelbiers, das, noch nicht
abgefüllt, »abgezweigt« und dem Käufer frisch ins mitgebrachte Gefäß
gefüllt wird. Die Zwickmühle, die ja eher einen Vorteil für ihren
Besitzer hat, bezieht sich auf das zweifache Öffnen der Mühle.
Allerdings vermag sie den Gegner unter Druck zu setzen, zu zwicken.
Daraus erschließt sich auch ihre übertragene Bedeutung in der
Redewendung »in der Zwickmühle sein«.
Auch Zwang, mittelhochdeutsch zwanc, twanc – mitsamt den abgeleiteten Verben zwängen, zwingen und bezwingen
– lässt sich so einordnen. Das Wort bezeichnet den unter einem Zwang
erlebten Druck, gleichsam das Gepresstsein zwischen fremden Mächten. An
den Begriffen Schraubzwinge, Werkzeug, Zwinger, Käfig mit Auslauf für Tiere, und Zwingburg, einer Art herrschaftlichen Gefängnisses, dessen Lage ein Entkommen vereitelte, wird dies unmittelbar deutlich.
Zweifelsfälle oder Irrlichter?
Das Zwerchfell scheint zunächst nicht recht in das Schema zu passen. Dennoch ist das alte Adjektiv zwerch, mittelhochdeutsch twerch, noch erhalten in überzwerch,
überkreuz, ein Zeugnis für die Bedeutung verdreht, quer. Eine
Verbindung zu zornig und barsch lässt sich darin sehen, erkennbar auch
in dem umgangsprachlichen Wort überquer, zerstritten. Denn das
Zwerchfell liegt – ganz ungewöhnlich gegenüber anderen Organen und
Körperstrukturen – quer, indem es den Bauchraum vom Brustraum abtrennt.
Speisezwiebel
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Die Zwiebel ist ein Beispiel für ein etymologisches Elternpaar. Sie zeigt eine Verwandtschaft zu ihrem lateinisch-italienischen Pendant cepula, cipola sowie eine volksetymologische als zwie-bolle, zweifache Knolle. Das übertragen verwendete Verb zwiebeln bezieht sich auf das Häuten der Zwiebel und drückt schinden, schlecht behandeln aus.
Das Adverb zwar, mit der Bedeutung allerdings, hat einen ganz anderen Ursprung. Es leitet sich ab aus dem mittelhochdeutschen z[e]wäre, fürwahr, das seinerseits aus zwo wär zusammengerückt ist.
Einige Wörter scheinen eher lautmalenden oder -nachahmenden Ursprungs. Dazu zählen zwitschern, entstanden aus zwitzern, einen feinen Laut von sich geben, englisch to twitter und zwinkern, blinzeln, englisch to twinkle. Dennoch drücken sie, wenn man die Lippen- oder Augenbewegung als Stütze nimmt, etwas »Zwischentönendes« aus.
Unsicher ist schließlich die Zuordnung von Zwerg, mittelhochdeutsch twerc, englisch dwarf.
Zwar ist er ein Zwischenwesen, eine Fabelfigur. Von Gestalt nicht Kind
nicht Mann, irrlichtert er zwischen guten und bösen Mächten.
Etymologisch ist er eher einem gespenstischen Trugwesen verwandt. So
bleibt seine Herkunft dunkel.
Gunhild Simon
31. August 2007
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